Gold: 2.241,36 € 0,28 %
Silber: 26,55 € 0,08 %
Stand: 02.09.2022 von Hannes Zipfel
Bislang haben die Preisentwicklungen bei Gold aber vor allem bei Silber in einem Umfeld historisch hoher Inflationsraten und diverser Krisen die Anleger enttäuscht. Dafür gibt es mehrere Gründe. Worauf es jetzt ankommt, damit die edlen Metalle als sichere Häfen wieder reüssieren können.
Gold & Silber: Warten auf den “Schwarzen Schwan”

Historisch einmalige Gemengelage

Passend zur jetzigen Situation bei Gold und Silber fällt einem der Ausspruch von Markt Twain ein:

„Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“

Momentan erleben wir eine Gemengelage, die in ihrer Komplexität wohl einzigartig ist. Sie kennzeichnet das Ende einer Ära: Ausgerechnet der streitbare Ökonom Karl-Marx beschrieb die sich seit bereits zwei Jahrzehnten zuspitzende Entwicklung in seiner „Marxistischen Konjunkturtheorie“ bzw. Krisentheorie mit folgender Kausalität sehr treffend:

Konjunktur-Krise-Krieg.

Nachdem die Marktwirtschaft, entgegen den Thesen von Marx, Ende der Achtzigerjahre über den Sozialismus und damit die Vergemeinschaftung des Produktionskapitals obsiegte, folgte in den Neunzigerjahren die Phase der "Great Moderation", während der sich die geopolitische Lage entspannte, abgesehen von den Konflikten im Rahmen der Auflösung der Sowjetunion und den beiden Irak-Kriegen.

Der globale Handel florierte und die Globalisierung mit ihrer Just-in-time Ideologie wurde kaum infrage gestellt. Selbst das Gelddrucken der Zentralbanken und die extreme Niedrigzinspolitik waren kein Problem, da die Teuerung durch die Produktionsverlagerungen und das Outsourcen von Dienstleistungen in Niedriglohnländer kompensiert wurden.

Es war die beste aller Welten, in denen auch die Spielräume der Zentralbanken, als Retter in jeder Not zu helfen, nahezu unerschöpflich und kurzfristig ohne Konsequenzen waren.

Der deutsche Astrophysiker, Naturphilosoph und Wissenschaftsjournalist Harald Lesch wies bereits im Jahr 2018 in seinem Buch „Wenn nicht jetzt, wann dann?: Handeln für eine Welt, in der wir leben wollen“ auf eklatante Missstände in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft hin. So z. B. mit folgender Aussage:

„Das Leben ist bis zum Zerreißen durchökonomisiert, die Gesellschaft gespalten. Überall stecken wir in lähmenden Widersprüchen. Ratlosigkeit macht sich breit. Was können wir, was kann jeder Einzelne tun? Wir haben keine Zeit zu verzagen.“

Lesch spielt u. a. auf die Nebenwirkungen der Globalisierung an. Vor allem auf die extreme Abhängigkeit von jederzeit funktionierenden Lieferketten (Just-in-time-Ökonomie ohne nennenswerte Lagerhaltung) und dem konsequenten Ausblenden oder vertagen von Missständen.

Bereinigende Krisen werden nicht zugelassen.

Das System ist extrem fragil und die zum Teil enorm ideologisch aufgeladene Diskussionskultur lässt kaum noch Raum für einen Konsens und dringend notwendige Entscheidungen.

Dabei wäre Handeln längst überfällig gewesen. Schon zur Jahrtausendwende konnte die damalige Aktienmarktblase bei den Unternehmensanteilen der „New-Economy“ nur durch eine radikale Rettungspolitik der Notenbanken (Fed) aufgefangen werden.

Zu diesem Zeitpunkt, also vor mehr als zwanzig Jahren, wäre es noch am einfachsten und am wenigsten verheerend gewesen, eine Bereinigungskrise zuzulassen. Stattdessen hatten die Maßnahmen, vor allem der US-Notenbank Fed unter dem damaligen Präsidenten Alan Greenspan mit einem Absenken des Leitzinses von 6,5 auf 1 Prozent, das Aufblasen einer gigantischen Immobilienblase zur Folge, da die Hypothekenzinsen vom zweistelligen Bereich in den unteren einstelligen Bereich absackten.

Leitzins USA

Als sich die Konjunktur scheinbar zu erholen begann, was aber ausschließlich auf eine "Immobilien-Blasen-Ökonomie" zurückzuführen war, konnte die Fed die Zinsen wieder auf 5,5 Prozent anheben.

Allerdings mit fatalen Folgen: Bereits ab März 2007 drohte die Beinahe-Pleite der damals zweitgrößten US-Investmentbank Bear Stearns ein Finanzmarktdesaster auszulösen. Durch den Notverkauf für nur 1 USD an den Branchenprimus J.P. Morgan wurde dieses Ereignis noch einmal abgewendet.

Alles schien wieder "normal" zu laufen.

Bis im September 2008 der Lehman-Bankrott tatsächlich zu einer Weltfinanzkrise inkl. Immobilienkrise führte. Auch diese Krise konnte von den Zentralbanken mit neu gedrucktem Geld und der Absenkung der Zinsen noch einmal abgefedert werden. Zumal die chinesische Konjunktur damals kaum von den Verwerfungen tangiert war und als Wachstumstreiber die Weltwirtschaft stabilisierte.

Danach dauerte es sehr lange, bis die Zentralbanken sich trauten, ab Anfang 2018 einen neuen "Normalisierungsprozess" einzuleiten. Dieser umfasste neben Zinsanhebungen auch den Abbau der zuvor durch gigantische Wertpapierkaufprogramme aufgeblasenen Notenbankbilanzen. Hier am Beispiel der US-Fed:

US-Notenbankbilanz

Doch bereits im Jahr 2019, also noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, war Schluss mit den Normalisierungsfantasien. Verwerfungen am US-Geldmarkt und der massive Abverkauf bei US-Aktien zwangen die Fed erneut zum Umsteuern. Mit dem Beginn der Corona-Pandemie, die bereits auf eine höchst fragile und durch den Handelskrieg zwischen den USA und China geschwächte und völlig überschuldete Weltwirtschaft traf, eskalierte die Rettungspolitik der Zentral- und Notenbanken weltweit.

Die im Zuge der Pandemie aufgelegten Billionen schweren Hilfsprogrammen erzeugten eine gewaltige Überschuss-Geldmenge, die in großen Teilen direkt an die Konsumenten weitergereicht und damit nachfragewirksam wurde. Allerdings brachen weltweit, wie von Harald Lesch prognostiziert, die Just-in-time Lieferketten durch Lockdowns zusammen.

Die Überschussliquidität traf auf eine Unterversorgung mit Waren und Dienstleistungen, was zum ersten Preis-Inflationsschub führte. Die aufgebaute Sparquote entlud sich nach der Lockerung der Corona-Einschränkungen in ekstatischem Konsum, der die Preise bis auf eine Inflationsrate von über 7,9 Prozent weiter nach oben trieb. Also noch vor dem Ukraine Krieg und der angeblichen reinen „Putinflation“.

Verbraucherpreisindex USA gegenüber Vorjahresmonat

Selbst wenn man unterstellt, dass zu diesem Zeitpunkt die Inflationsraten bereits auf die in Vorwegnahme eines militärischen Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine erhöhten Energiepreise reagierten, so lag die US-Inflationsrate zum Ultimo des Jahres 2021 schon bei 7,0 Prozent.

Der völkerrechtswidrige Einmarsch russischer Truppen auf das Staatsgebiet der Ukraine verschärfte die Lage und ließ die Inflation in Europa völlig außer Kontrolle geraten.

Verbraucherpreisindex Euro-Zone gegenüber Vorjahresmonat

Und wieder versuchen die Zentralbanken diesseits und jenseits des Atlantiks, der Krise Herr zu werden. Doch zum ersten Mal seit Beginn der "Great Moderation" vor über 30 Jahren haben es die Geldpolitiker der neuen Generation à la Madame Lagarde mit Starkinflation zu tun. Ein Phänomen, das sie ihrer üblichen Kriseninstrument, also Gelddrucken und Zinssenkungen beraubt.

Das erklärt auch das enorm lange Zögern der Geldpolitiker.

In den USA begann der Fed-Chef Jerome Powell erst auf Druck des Weißen Hauses und unter Androhung seiner frühzeitigen Pensionierung mit Zinsanhebungen, um der Inflation Herr zu werden.

Im Euroraum dauerte es mangels politischen Druckes noch länger – bis fast zum totalen Vertrauensverlust in die Europäischen Zentralbank, für den das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel auf der Notenbankerkonferenz Ende August in Jackson dramatische Worte wählte:

„Sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die Kosten, dass sich die derzeitige hohe Inflation in den Erwartungen verfestigt, sind unangenehm hoch. In diesem Umfeld müssen die Zentralbanken energisch handeln. Sie müssen sich entschlossen gegen das Risiko stemmen, dass die Menschen beginnen, an der langfristigen Stabilität unserer Fiat-Währungen zu zweifeln.“

Wie drastisch die Geldpolitik der EZB und die Inflation bereits auseinandergelaufen sind, zeigt diese Grafik:

EZB-Schlüsselzins vs. Inflation Eurozone

Der Grund dafür ist simpel und mag dem ein oder anderen in der Argumentation redundant erscheinen: das Fortbestehen der Eurozone und das Vermeiden einer wirtschaftlichen Depression in den USA, China und Japan hängt hauptsächlich von der Aufrechterhaltung der Schuldentragfähigkeit ab.

Diese ist so fragil wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr:

Globale Verschuldung erreicht Rekord von 305 Billionen US-Dollar

Der Schein trügt

Die nun hastig nachgeholten Zinsschritte in den USA und entsprechende Planungen bei der EZB für die kommende Sitzung am 8. September belasten die zinslosen Edelmetalle aktuell stark. Neu ist, und damit wiederholt sich die Geschichte nicht, dass die Preise für Gold, Silber & Co. kaum auf die Teuerung und die historisch negativen Realzinsen (Nominalzins minus Inflationsrate) reagieren, sondern hauptsächlich auf den Liquiditätsentzug durch die Fed und den Anstieg der Nominalzinsen.

Gold-&Silberpreis in Euro vs. Renditen 2-j-US-Staatsanleihen vs. US-Dollar-INDEX

Dafür mag es verschiedene Erklärungen geben. Der Hauptgrund dürfte aber sein, dass die Anleger in den USA ihrer Notenbank zutrauen, das Inflationsproblem in den Griff zu bekommen.

Diese Möglichkeit besteht durchaus – aber zu welchem Preis?

Schaut man in die Vergangenheit, dann stieg die Zinssensitivität der Kapitalmärkte (Aktien, Anleihen, Immobilien, Währungen etc.) in den letzten zwei Dekaden mit der explodierenden Gesamtverschuldung immer weiter an.

Das gilt für die USA ebenso wie für China, Japan und Europa. Also die größten Volkswirtschaften der Welt. In China muss die Zentralbank (PBOC) schon wieder mit Notzinssenkungen und Geldmengenausweitung die Konjunktur und vor allem den Immobilienmarkt stützen. Bereits sechs Mal in Folge und allein drei Mal in diesem Jahr hat die PBOC die Zinsen gesenkt.

Es ist nur eine Frage der Zeit, in diesem hochfragilen Spannungsfeld zwischen Lieferkettenunterbrechungen, geopolitischen Konflikten, Handelskriegen, Starkinflation, Überschuldung und Vermögenspreisblasen, besonders an den zinssensiblen Immobilien- und Aktienmärkten, bis es zu so heftigen Verwerfungen kommt, dass sich die Zentral- und Notenbanken für eine akute Krisenpolitik und gegen eine nachhaltige Inflationsbekämpfung entscheiden müssen, um einen sofortigen Systemkollaps abzuwenden.

Dieser Moment ist in China bereits überschritten und steht nun in den USA kurz bevor.

Fazit

Es lohnt sich daher, die Krisenwährungen Gold und Silber nicht aus den Portfolios zu verbannen. Die Illusion, die Zentralbanken hätten die Instrumente, der aktuellen Gemengelage Herr zu werden, ist eine flüchtige Illusion und das Auftreten einer oder mehrerer "Schwarzer Schwäne" (Unfälle im Finanzsystem) ist zeitnah zwangsläufig.

Und umso größer die Krise, umso größer die Wahrscheinlichkeit für noch mehr globale Spannungen, ganz nach der Theorie von Karl Marx: auf Konjunktur folgt Krise und Krieg. Nichts ist schädlicher für die Konjunktur als Krieg, wie der Kollaps der ukrainischen Wirtschaft um -35 Prozent und der ukrainischen Währung gegenüber dem US-Dollar um -36,5 Prozent zeigt.

Es wäre fahrlässig, im Vorfeld der wohl größten Weltwirtschaftskrise seit den späten 1920er-Jahren auf Gold und das in Zukunft noch viel wichtigere, weil leistbarer Edelmetall Silber als Vermögensschutz zu verzichten.

Autor: Hannes Zipfel
Ökonom
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von Chris | 04.09.2022, 13:23 Uhr Antworten

Was für ein Schwachsinn. Auf wieviel Schwarze Schwäne will man denn noch warten?

Es gibt mittlerweile bessere Lösungen als Gold und Silber.

Bitcoin hat alle Probleme die Gold hat bereits gelöst. Nun kann man sich weiterhin an die Vergangenheit klammern, oder man wacht auf.

4 Antworten an Chris anzeigen
von R.Hensel | 06.09.2022, 14:55 Uhr Antworten

Danke für den Beitrag. Vor lauter Cassandrarufen weiß man jedoch nicht mehr, geht's jetzt los?
Bis jetzt wurde jedes Problem weg gedruckt, aber wann platzt die Blase aller Blasen?

von Joe | 04.09.2022, 16:20 Uhr Antworten

Schön, das Ktitik hier gelöscht wird... Sich vor Zensur schützen wollen und Widerspruch selbst zensieren. Herzlichen Glückwunsch.

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