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Stand: 26.03.2020 von © Gold.de Redaktion AB
Weltweit wird mit Hochdruck an einem Heilmittel gegen das Corona Virus gearbeitet. Da mögen wirtschafts- und finanzpolitische Diskussionen im Moment nachrangig erscheinen. Doch auch hier sind Antworten nötig. Wir haben den renommierten Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup befragt: Zu Schulden, zu Zinsen, zur Politik der EZB.
Prof. Dr. Bontrup: „Man darf Märkte nicht sich selbst überlassen“
GOLD.DE Interview mit Dr. Heinz J. Bontrup

Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup ist Wirtschaftswissenschaftler und Sachverständiger im Deutschen Bundestag sowie in Landtagen. Zudem ist er Sprecher der Arbeitsgruppe "Alternative Wirtschaftspolitik e.V.", die seit 1975 Gegengutachten zum Sachverständigenrat der Bundesregierung, den sogenannten „Fünf Weisen“, herausgibt. Vor seiner Berufung zum Wirtschaftsprofessor im Jahr 1996 war er lange Jahre in der Industrie tätig.

Heinz-J. Bontrup hat fast 600 Veröffentlichungen zur Wirtschaftstheorie und -politik verfasst, davon 50 Bücher und Monographien. Im März 2018 verlieh ihm der Bundespräsident das Bundesverdienstkreuz am Bande, wegen seines unermüdlichen Einsatzes gegen den neoliberalen und marktradikalen Mainstream in Wissenschaft, Politik und Medien.

Herr Dr. Bontrup: Abgesehen von den menschlichen Tragödien werden auch die wirtschaftlichen Folgen von Corona katastrophal sein, für die Weltwirtschaft wie auch für die deutsche Volkswirtschaft. „Crash“ oder „Vollbremsung“ – welches Wort gefällt Ihnen aktuell besser?

Von „besser“ kann keine Rede sein. Es ist eine Katastrophe. Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr den größten Wachstumseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg haben. Es wird also zu einem schweren Crash kommen. 2009, in der ebenfalls schweren weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, lag das reale, also preisbereinigte, Negativwachstum bei 5,7 Prozent. Ich gehe in diesem Jahr von bis zu 10 Prozent Wachstumseinbruch aus.

Dabei dürfen wir aber die beiden Krisen nicht gleichsetzen. Bei der Finanz- und Wirtschaftskrise handelte es sich um eine endogene kapitalistische Systemkrise. Jetzt sind es durch die Corona-Pandemie exogene Kräfte die wirken. Die Auswirkungen sind aber in beiden Fällen verheerend.

Kommen wir zu all den Bürgern, die etwas für die Altersvorsorge zurückgelegt haben. Aktien, Anleihen, Gold, vielleicht eine vermietete Immobilie. Vom Sparbuch brauchen wir jetzt mal nicht zu reden. Was empfehlen Sie Anlegern derzeit?

Ruhe zu bewahren. Einfach mal innehalten. Die Uhr sozusagen anhalten. Es macht keinen Sinn, jetzt wie wild die Vermögensbestände umzuschichten, also beispielsweise Aktien gegen Gold zu tauschen.

Das Thema „Niedrigzins“ und „expansive Geldpolitik“ der EZB war ja schon immer kontrovers diskutiert. Nun scheint die Corona Krise der EZB, wie den Zentralbanken weltweit, keine andere Wahl zu lassen als weiter diesen Kurs zu fahren. Anhängern einer neoliberalen Marktwirtschaft wie vielen heutigen Vertretern der österreichischen Schule wird das natürlich nicht gefallen. Für sie ist die Politik des billigen Geldes der Zentralbanken, ebenso wie staatliche Einflussnahmen auf die Volkswirtschaft, generell ja Grund allen Übels. Rettungspakete sind schlecht, gesteuerte Zinspolitik ein No-Go, der freie Markt allein wirds schon richten. Wo haben die recht, wo nicht?

Die neoliberalen Adepten haben mit der 2007 einsetzenden weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ihr Waterloo erlebt. Sie haben sich aber gerne von dem verhassten Staat klassisch keynesianisch mit einem "Deficit Spending" retten lassen. In Folge wollten die Neoliberalen aber nichts mehr von Keynes wissen. Wir können froh sein, dass die Zentralbanken wenigstens eine keynesianische expansive Geldpolitik bis heute fortgesetzt haben. Hätten sie die Zinsen erhöht und nicht die Staatsanleihen aufgekauft, gäbe es heute keinen Euro mehr und auch die EU wäre in Selbstauflösung.

Wir können froh sein, dass die Zentralbanken wenigstens eine keynesianische expansive Geldpolitik bis heute fortgesetzt haben.

Im Gegensatz dazu haben aber, aufgrund der in der Krise gestiegenen Staatsverschuldung, die neoliberalen Politikereliten, völlig borniert, gleich wieder die Keule einer Austeritätspolitik ausgepackt. Diese wirtschaftspolitische Asymmetrie zwischen Geld- und Finanzpolitik hat viel Schaden angerichtet und Wohlfahrt gekostet.

Bleiben wir bei der neoliberalen Vorstellung des freien Marktes. Läuft das nicht auf blanken Sozialdarwinismus hinaus, wo nur noch das Recht des Stärkeren regiert?

Ja. Der Markt ist und bleibt beim Sozialen, das die Gesellschaften letztlich zusammenhält, eine blinde und asoziale Institution. Man darf die Märkte nicht sich selbst überlassen. Und ich bin es gegenüber den Neoliberalen leid, wenn sie in der Krise immer wieder nach dem Staat rufen und ansonsten in ihrer Marktradikalität ihn quasi abschaffen wollen.

Man darf die Märkte nicht sich selbst überlassen.

Thema niedrige Zinsen: Kritiker sehen darin ja eine Enteignung des deutschen Sparers. Jetzt drehen wir die Sache mal um: Angenommen die EZB hätte 2008 und in der Folge der damaligen Finanz- und Schuldenkrise die Zinsen gelassen, oder gar erhöht. Was wäre dann passiert?

Wie ich bereits sagte, gäbe es dann keinen Euro und auch keine EU mehr. Die EU-Wirtschaft hätte sich nicht erholen können, zumal auch noch die Finanzpolitik auf der Bremse stand. Eine tiefe Deflation mit extrem hoher Arbeitslosigkeit wäre die Folge gewesen. Das politische System, dass schon jetzt in Richtung Rechtsextremismus marschiert, hätte dann womöglich zu rechtsextremistischen Regierungen in Europa geführt. Fragen sie sich einmal, wieviel Arbeitslosenquote Deutschland politisch verträgt?

Eine tiefe Deflation mit extrem hoher Arbeitslosigkeit wäre die Folge gewesen. Das politische System, dass schon jetzt in Richtung Rechtsextremismus marschiert, hätte dann womöglich zu rechtsextremistischen Regierungen in Europa geführt.

Ein weiteres oft gehörtes Argument lautet: Die EZB erzeugt Geld auf Knopfdruck in beliebiger Menge. Dadurch würde Geld entwertet. Haben wir tatsächlich ein Geldproblem, oder doch eher ein Umverteilungsproblem?

Es ist richtig, dass die EZB Geld schafft. Das ist auch gut so. Jetzt hat die EZB seit der Finanz- und Wirtschaftskrise sogar richtig viel neues Geld in den Kreislauf gepumpt und das auch noch zum Preis null. Und haben wir jetzt Inflation? Nein, haben wir nicht. Eher weiter eine gemäßigte Deflation.

Und warum ist das so? Weil das billige Geld nicht in realwirtschaftlicher Nachfrage adäquat zur Umsetzung kommt und die Preise steigen läßt. Dies passiert eben nur, wenn die Unternehmen eine Profiterwartung für ihre Investitionen haben und die Konsumenten keine Angst vor der Zukunft. Und wenn dann auch noch der Staat kein Geld für Investitionen nachfragt, sondern mit seiner abwegigen Austeritätspolitik sogar Finanzierungsüberschüsse erzielt - von 2012 bis 2019 waren es fast 234 Milliarden Euro - ja, dann gibt es trotz billigem Geld auch keine Geldentwertung.

Dass zu wenig kaufkräftige Nachfrage im Spiel ist, liegt natürlich auch an einer nach wie vor viel zu hohen Mehrwertquote in Relation zur Lohnquote. Wir brauchen hier in der Tat eine kräftigte Umverteilung zu den Arbeitseinkommen. Ein zu großer Mehrwert, also zu viel Gewinn, Zins und Grundrente, impliziert immer zu wenig Nachfrage auf den Gütermärkten, weil dieser Mehrwert kontraproduktiv und hoch spekulativ auf den Finanzmärkten landet. Wenigstens sind die Zinsen als Mehrwert jetzt auf null gesetzt. Gewinne und Grundrenten wie Mieten und Pachten sprudeln jedoch.

Kommen wir zum Thema „Schulden“, ebenfalls ein kontrovers diskutiertes Thema. Es gibt Ökonomen, die die weltweiten Staatsverschuldungen mit regelrechten Crash-Szenarien verbinden. Auf der anderen Seite haben wir viele Ökonomen, die aktuell sogar mehr Schulden fordern. Wer hat recht?

Staatsverschuldung ist immer ein Zeichen für eine sich nicht selbst regulierende kapitalistische Marktwirtschaft. Sie zeigt uns ein tiefes immanentes Systemversagen. Was würde denn passieren, wenn jetzt der Staat bei der Corona-Pandemie nicht mit Staatsverschuldung helfen würde? Lösen die Selbstheilungskräfte des Marktes das Problem? Wohl kaum.

Aber eine Alternative zur Staatsverschuldung sind natürlich höhere Steuern. Nicht alle Steuerarten kommen hier jedoch infrage, sondern nur die Steuern, die das nutzlose bzw. funktionslose Einkommen der Besserverdienenden und eine nach Keynes „räuberische Überersparnis“ der Reichen abschöpfen und in den Wirtschaftskreislauf zurückführen. Dreimal dürfen sie raten, wer was dagegen hat? Und leider gibt es, um mit Adorno und Horkheimer zu sprechen, eine „privilegierte Komplizenschaft“ zwischen den Reichen und der Politik.

Räuberische Überersparnis der Reichen abschöpfen

Gibt es eine Grenze, ab der Schulden, volkswirtschaftlich betrachtet, toxisch werden?

Solange die Schulden im Land bleiben gibt es die Grenze nicht, weil hier die Schulden des einen Inländers das Vermögen des anderen Inländers sind. Der Saldo von Schulden und Vermögen ist hier immer null.

Problematisch können übermäßige Schulden aber dann werden, wenn die Gläubiger Ausländer sind. Dann können nämlich Schulden - hier gemeint die Auslandsschulden - nur durch Exportüberschüsse bezahlt bzw. getilgt werden. Haben hier Volkswirtschaften aber solche Überschüsse nicht, siehe Griechenland, kann es zum Staatsbankrott kommen. Deutschland hat jedoch diesbezüglich als Exportweltmeister nichts zu befürchten.

Wäre ein Schuldenschnitt eine Lösung?

Wie gesagt, Deutschland benötigt hier aufgrund der Exportüberschüsse keinen Schuldenerlass oder einen Schuldenschnitt. Das sieht in anderen EU-Staaten ganz anders aus. Und ich befürchte, wenn es jetzt z.B. in dem mit der Corona-Pandemie hart gebeutelten Land Italien zu einem weiteren Anstieg der Staatsschuldenquote kommt, 2019 lag sie schon bei 136,2 Prozent, dann könnte hier ein Schuldenschnitt notwendig sein, genauso wie ein solcher 2010 in Griechenland stattgefunden hat. Nur in Italien würden es ganz andere Größenordnungen sein.

Ein Schuldenschnitt für Italien könnte notwendig sein

Verschiedentlich wird über die Wiedereinführung des Goldstandards nachgedacht, also eine goldgedeckte Währung. Ist das eine überlegenswerte Idee für moderne Volkswirtschaften im 21. Jahrhundert?

Es kommen leider viele Laienspieler in der Ökonomie zu Wort. Diejenigen, die eine Wiedereinführung des zum Teil noch bis 1931 gültigen Goldstandards („Goldparität“) fordern, gehören auch dazu. Das ist blanker Unsinn. Man kann heute die Volkswirtschaften und ihr notwendiges Wachstum nicht an den nur beschränkten Goldbeständen und -weiteren Goldfunden auf der Erde anketten. Die Weltwirtschaft würde unweigerlich kollabieren.

Man kann heute die Volkswirtschaften und ihr notwendiges Wachstum nicht an den nur beschränkten Goldbeständen der Erde anketten.

Außerdem verlangt ein Goldstandard nach einem System fester Wechselkurse. Es müßte zwischen den Ländern immer zu einem strengen Ausgleich der Leistungsbilanz kommen. Defizitländer müssten ihre Währung abwerten und Überschussländer aufwerten. Oder es müsste zu einer Devisenbewirtschaftung kommen, um so Export und Import zu kontrollieren und entsprechend auszusteuern. Dies würde jedoch zu schwerwiegenden binnenwirtschaftlichen Verwerfungen bei Wachstum, Beschäftigung und Inflation in den einzelnen Volkswirtschaften führen.

GOLD.DE dankt Prof. Dr. Bontrup für das Interview.
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von Volker | 30.10.2020, 19:38 Uhr Antworten

Deutschland hat jedoch diesbezüglich als Exportweltmeister nichts zu befürchten. ??
Warum arbeiten wir eigentlich noch, wenn doch alles easy ist und Wohlstand gedruckt werden kann?? Und nein, wir bürgen nicht für andere Staaten, Target 2 ist eine Lüge, Pensionsverpflichtungen und ständig steigende Sozialausgaben sind Pinatz, und auch sonst ist alles Super. Schließlich macht es uns Japan vor, mit noch viel mehr Schulden nicht auseinanderzufliegen. Das müssen wir auch unbedingt austesten. Das einzige Problem ist, daß nicht alle hier klaglos mitmachen wollen. Aber Querolanten gibt es halt immer.

von J.W. Kienle | 27.03.2020, 11:19 Uhr Antworten

Im März 2018 verlieh ihm der Bundespräsident das Bundesverdienstkreuz am Bande, wegen seines unermüdlichen Einsatzes gegen den neoliberalen und marktradikalen Mainstream in Wissenschaft, Politik und Medien. Das war ja wohl ein Witz!!!!!
Der Mann hat keine Ahnung, was (Markt-)wirtschaft ist und wie sie funktioniert.
Es sind die Zentralbanken, die uns seit Jahrzehnten ins Verderben manövrieren.
Und Zentralbanken sind nicht marktwirtschaftlich, sondern sozialistische Geldmonopolisten.

2 Antworten an J.W. Kienle anzeigen
von Graf von Henneberg | 28.03.2020, 17:58 Uhr Antworten

Ich werde nachdenklich, da steht im Text "Arbeitsgruppe "Alternative Wirtschaftspolitik e.V."...
So eine Alternative hatten wir in der DDR von 1949 - 1989; das hat aber auch nicht so recht klappen wollen. ... Es kommen schllimme Zeiten auf uns zu!

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