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Stand: 22.04.2020 von © Gold.de Redaktion / AB
Dr. Thomas Mayer zählt zu den bekanntesten Finanzexperten Deutschlands. Wir haben ihn befragt zur aktuellen Corona Krise, zu möglichen Folgen und Lösungen, zu Crash-Propheten, zur Österreichischen Schule und Keynes, und natürlich zu Gold.
Dr. Thomas Mayer: „Fragilität des Finanzsystems erhöht sich“
GOLD.DE Interview mit Dr. Thomas Mayer

Dr. Thomas Mayer kennt sich aus im Geld- und Währungsgeschäft. Er war viele Jahre beim internationalen Währungsfonds tätig, bevor er in die Privatwirtschaft wechselte. Es folgten Stationen unter anderem bei Goldman Sachs und als Chefvolkswirt der Deutschen Bank.

Heute leitet Dr. Thomas Mayer das Flossbach von Storch Research Institut. Zudem ist er Honorarprofessor an der Universität Witten/Herdecke und Vorsitzender der Jury des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik.

Vielen unseren Lesern dürfte Dr. Thomas Mayer aber vor allem bekannt sein als Buchautor sowie als vielgefragter Finanzexperte und Kommentator in den Medien.

Herr Dr. Mayer: Corona hat uns alle im Griff. Neben Gesundheitsexperten sind auch Wirtschaftsexperten gefragt wie selten. Nun haben wir also einen Crash. Anlass genug, mit einer Frage zu den sogenannten „Crash-Propheten“ zu beginnen. Die gab es ja schon vor Corona, manche davon mit ganz konkreten Zeitangaben. Was halten Sie von solchen Aussagen jetzt, und wie haben sie solche Aussagen vor Corona bewertet?

Dr. Thomas Mayer: Zum einen haben wir keinen Rückgang der Aktienpreise, den man als Crash bezeichnen könnte. Zum anderen hat meines Wissens keiner der Crash Propheten die Pandemie kommen sehen. Schon vor der Pandemie habe ich die Fragilität unseres Finanzsystems aufgrund der weltweit hohen Verschuldung als hoch eingeschätzt. Die massiven staatlichen Hilfsprogramme, die zu einem großen Teil von den Zentralbanken mit neu gedrucktem Geld finanziert werden, erhöhen diese Fragilität weiter.

Die massiven staatlichen Hilfsprogramme, die zu einem großen Teil von den Zentralbanken mit neu gedrucktem Geld finanziert werden, erhöhen diese Fragilität weiter

Ökonomen, die schon vor Corona die Politik der „Geldschwemme“ kritisiert haben, sehen die gigantischen Unterstützungsprogramme der Zentralbanken in Form von Anleihenkäufen und Kreditprogrammen jetzt natürlich erst recht als bedrohlich an.

Besonders stark kam und kommt diese Kritik von Vertretern der „Österreichischen Schule“, der auch Sie nahestehen. Nun kann man ja schlecht die Millionen Restaurantbesitzer, Handwerksbetriebe oder Unternehmer, die aktuell ums nackte Überleben kämpfen, im Regen stehen lassen. Wie bewerten Sie diese zusätzliche Öffnung der Geldschleusen?

Dr. Thomas Mayer: Natürlich ist es richtig, die Menschen, Betriebe und Unternehmen, die aufgrund staatlicher Verordnungen ihrer Tätigkeit nicht mehr nachgehen können, zu unterstützen. Der Staat kann ihnen ja schlecht ihre Geschäfte verbieten und sie dann im Regen stehen lassen. Allerdings wäre es besser, wenn die Staatshilfen aus Ersparnissen finanziert werden könnten. Weil man aber zehn Jahre lang das Sparen bekämpft und die Verschuldung mit Niedrigzinsen gefördert hat, steht man mit leeren Taschen da und muss sich diese mit neu gedrucktem Geld füllen.

Werfen wir einen Blick auf die Finanzkrise 2007 / 2008. Auch damals ging es um Krisenmanagement, und letztlich die Frage: System vor die Wand fahren lassen mit ungeahnten negativen Folgen, oder den Versuch einer Rettung, indem Geld in die Märkte gepumpt wird. Wo sehen Sie Parallelen, wo Unterschiede, und haben die Notenbanken rückblickend wirklich so einen schlechten Job gemacht?

Dr. Thomas Mayer: In der Finanzkrise saß der Finanzsektor auf der Anklagebank, aber man konnte ihn nicht ins Gefängnis sperren, weil man ihn ja noch brauchte. Deshalb erlegte man ihm Geldstrafen auf und schubste ihn an, noch mehr Kredite an die Schuldner zu vergeben, um die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen. Allerdings nutzten die Schuldner die neuen Kredite nicht vorwiegend, um neue Fabriken zu bauen und gute Arbeitsplätze zu schaffen, sondern um vorhandene Immobilien und ihre eigenen Aktien zukaufen. Das mit den Krediten geschaffene neue Geld trieb also vor allem die Vermögenspreise nach oben.

Heute ist der Finanzsektor nicht Teil des Problems, sondern er soll Teil der Lösung sein. Allerdings ist seine Rolle nun etwas anders. Es geht nicht mehr darum, den Leuten noch mehr Kredite anzuhängen, die sie vielleicht niemals werden zurückzahlen können. Sondern es geht darum, Geld für den Staat zu schaffen, der es dann an die Leute weitergibt. Ich vermute, dass Leute, die jetzt Staatshilfen bekommen, damit weniger Immobilien und Aktien, aber mehr Konsumgüter kaufen werden als dies nach der Finanzkrise der Fall war. Deshalb dürften nach dem Abklingen der Pandemie und im Zuge der Erholung der Wirtschaft die Konsumgüterpreise schneller steigen als dies nach der Finanzkrise der Fall war.

Heute ist der Finanzsektor nicht Teil des Problems, sondern er soll Teil der Lösung sein.

Wagen Sie mit uns einen Ausblick zum Jahresende 2020: Wo werden wir in Deutschland stehen, Stichworte Inflation, Rezession, Schulden, Arbeitslosigkeit?

Dr. Thomas Mayer: Ich weiß es nicht und ich würde jedem misstrauen, der behauptet, es zu wissen. Allenfalls kann man sagen, dass sich die Wirtschaft wahrscheinlich im zweiten Halbjahr von einem extrem niedrigen Niveau ausgehend erholen wird, die Arbeitslosigkeit und Schulden sehr viel höher sein werden als vor der Krise, und die Inflation erste Zuckungen nach oben zeigen könnte.

Kommen wir nochmal zu den Theorien der „Österreichischen Schule“. Viele aktuelle Vertreter propagieren hier einen radikalen Marktliberalismus. Staat und Notenbanken sollen sich aus allen wirtschaftlichen Dingen raushalten, es regiert einzig der freie Markt. Zeigt die aktuelle Krise nicht die Grenzen dieses Narrativs vom „freien Markt“ auf? Wo finden sich da Werte wie Solidarität oder Gemeinwohl?

Dr. Thomas Mayer: Die österreichische Schule ist kein einheitliches Theoriegebäude. Es gibt da unterschiedliche Strömungen, und ich gehöre zu den Hayekianern. Für Hayek war es klar, dass in Zeiten des Notstands der Staat als Hüter der freiheitlichen Ordnung diese auch durch klare gesellschaftliche Zielvorgaben schützen muss. Was unter normalen Umständen tabu ist – also die Verpflichtung des Einzelnen auf gesamtgesellschaftliche Ziele – kann in Notlagen überlebenswichtig sein. Aber staatliche Vorgaben müssen verhältnismäßig und zeitlich begrenzt sein. Auf die gegenwärtige Situation bezogen heißt das, dass die Regierung ihre massiven Eingriffe zeitlich begrenzen und jede Verlängerung gegenüber Parlament und Öffentlichkeit gut begründen muss. Am Ende muss sie vor dem Wähler für ihr Handeln geradestehen. Es liegt also an uns Wählern, der Staatsmacht genau auf die Finger zu sehen.

Was unter normalen Umständen tabu ist – also die Verpflichtung des Einzelnen auf gesamtgesellschaftliche Ziele – kann in Notlagen überlebenswichtig sein.

Gibt es konkrete Beispiele, wo die Theorien der „Österreichischen Schule“ als wirtschaftspolitische Leitvorstellung weitgehend umgesetzt sind, und wie bewerten Sie Keynes in dem Zusammenhang?

Dr. Thomas Mayer: Ich habe in den 1980er Jahren in den USA und in den frühen 1990ern in Großbritannien gelebt. Für mich waren Ronald Reagan und Margret Thatcher herausragende Politiker, die stark von den „Österreichern“ – und darunter besonders von Hayek – beeinflusst waren. Unter Reagan und Thatcher wuchsen die USA und Großbritannien zu neuer Stärke, nachdem sie durch falsch verstandenen Keynesianismus heruntergewirtschaftet worden waren.

Sie werden sich vielleicht wundern, aber ich halte Keynes für einen brillianten Ökonomen, begnadeten Investor und hoch interessanten Menschen. Sein größter Fehler war in meinen Augen, dass er sein Hauptwerk „General Theory“ genannt hat. Wäre er ehrlich gewesen, hätte er es „Special Theory“ nennen müssen. Denn er legte ja eine geniale Analyse der Großen Depression vor. Seine Epigonen haben diese Analyse dann mit seiner Ermunterung unzulässig verallgemeinert und seither immensen Schaden angerichtet.

Für mich waren Ronald Reagan und Margret Thatcher herausragende Politiker, die stark von den „Österreichern“ – und darunter besonders von Hayek – beeinflusst waren.

Grundvoraussetzung für das Funktionieren eines gesetzlichen Zahlungsmittels ist das Vertrauen, dass die Menschen in diese Währung haben. Im weiten Teilen der Bevölkerung ist das ja vorhanden. Erklären Sie uns, warum Sie das kreditbasierte Papiergeldsystem als zum Scheitern verurteilt sehen, und was Sie mit dem „Wettbewerb der Währungen“ meinen?

Dr. Thomas Mayer: Im Kreditgeldsystem steuert die Zentralbank den Geldmarktzins über ihren Zins auf Reservegeld. Die Banken fragen Reservegeld bei ihr nach, weil sie es aufgrund von Mindestreservevorgaben müssen und weil sie mit Reservegeld unterlegte Bankeinlagen der Kunden problemlos untereinander transferieren können. Wollen sie die Bankeinlagen ohne Reservegeldunterlage übermitteln, müssen sie die durch den Transfer entstehende Bilanzlücke durch einen Interbankkredit auf dem Geldmarkt schließen, was nicht immer ganz problemlos geht.

Der Reservesatz der Zentralbank ist also das Fundament, auf dem die Banken ihre Kredit- und Einlagezinsen aufbauen. Variationen des Reservesatzes schlagen sich auf diese Zinsen durch. Das nutzt die Zentralbank, um die Kreditvergabe der Banken zu manipulieren und die Konjunktur zu steuern. Da aber die Zentralbank den richtigen Zins, bei dem die Konjunktur stabil ist, nicht kennen kann, setzt sie den Zins mal zu niedrig und mal zu hoch an. Dadurch entstehen Kredit-, Investitions- und Konjunkturzyklen. Außerdem neigt die Zentralbank dazu, den Zins im Abschwung stärker zu senken als sie ihn im Aufschwung wieder erhöht, weil sie ja der Wirtschaft immer etwas Gutes tun will. Dadurch kommt es zur Aufblähung der Kredite, der Schulden und des ganzen Finanzsektors, der daran verdient. Die Wirtschaft wird „finanzialisiert“.

Wie andere österreichische Ökonomen auch, denke ich, dass man das Kreditgeldsystem durch ein Volldeckungssystem ersetzen sollte, wo eben der Geldemittent und nicht die Banken für die Geldvermehrung verantwortlich ist. Und wie Hayek meine ich, dass Geldwettbewerb die beste Methode wäre, die Geldemittenten dazu zu bringen, gutes Geld im Sinne der Nutzer herzustellen.

Kann die Wiedereinführung eines Goldstandards helfen, die aktuellen Probleme zu lösen?

Dr. Thomas Mayer: Das muss der Markt entscheiden. Eine Voraussage wage ich allerdings: Wenn die Staaten und ihre Zentralbanken in Verbindung mit den Banken fortfahren, das Kreditgeld hemmungslos zu emittieren, werden sich die Marktteilnehmer nach Alternativen als Mittel zur Wertaufbewahrung umsehen. Gold dürfte als eine der ältesten Währungen der Welt eine gute Chance haben, dazu erkoren zu werden.

Wenn die Staaten und ihre Zentralbanken in Verbindung mit den Banken fortfahren, das Kreditgeld hemmungslos zu emittieren, werden sich die Marktteilnehmer nach Alternativen als Mittel zur Wertaufbewahrung umsehen. Gold dürfte als eine der ältesten Währungen der Welt eine gute Chance haben, dazu erkoren zu werden.

Was empfehlen Sie aktuell Privatanlegern in Bezug auf die Assets Anleihen, Aktien, Immobilien, Gold & Kryptos?

Dr. Thomas Mayer: Ich kann keine Anlageempfehlungen abgeben. Dazu müssen Sie meine Kollegen fragen. Aber ich kann darauf verweisen, dass Sie in unseren Multi-Asset-Fonds vor allem Aktien von guten Unternehmen und Gold finden.

Wie sehen Sie mittelfristig die Rolle, die Gold bei den Notenbanken spielen wird?

Dr. Thomas Mayer: In den 1990er und frühen 2000er Jahren haben einige Notenbanken ihre Goldbestände reduziert. Das erschien chic, nannte Keynes Gold doch ein „barbaric relic“. Seit die Notenbanken jedoch in der Finanzkrise dazu übergangen sind, die Welt mit ihrem Geld zu fluten, meiden sie es und bauen Goldreserven auf. Es sollte einem zu denken geben, wenn Anbieter wenig Gefallen an ihren eigenen Produkten finden.

GOLD.DE dankt Dr. Mayer für das Interview.

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von WiseGuy021 | 04.05.2020, 09:48 Uhr Antworten

Toller Artikel! Hoffentlich lesen das auch die mit den Der-Markt-regelt-alles-Scheuklappen". Der Mann relativiert auf kluge Art und Weise.
"Das unter normalen Umständen tabu ist – also die Verpflichtung des Einzelnen auf gesamtgesellschaftliche Ziele – kann in Notlagen überlebenswichtig sein."
Damit macht er sich bei den sogenannten Libertären sicher keine Freunde, hat aber recht! Es ist aber, wie er ebenfalls richtig sagt, an uns (dem Wähler, dem Souverän und, ja, auch der Presse) pingelig darauf zu achten, dass Einschränkungen auch wieder verschwinden. Ich bin recht zuversichtlich, denn bei uns findet eine breite öffentliche Diskussion statt! Maßnahmen werden kurzfristig hinterfragt und auch gemäß neuer Erkenntnisse korrigiert. Das ist eigentlich genau das, was man von der Politik erwarten darf. Hoffentlich hält sich diese Art zu "regieren"!
interessant finde ich auch, dass der Mann auf die Frage nach einem Goldstandard antwortet, Gold sei recht gutes Geld ... das eine hat mit dem anderen wenig zu tun ;-)
Offensichtlich weiß er das, will es aber nicht so formulieren. Das könnte ja doch einige potenzielle Kunden abschrecken. Gut, das sei ihm angesichts vieler kluger Aussagen gegönnt.

von Fiat Abdul | 22.04.2020, 09:40 Uhr Antworten

"Sondern es geht darum, Geld für den Staat zu schaffen, der es dann an die Leute weitergibt."

Wer ist den der Staat? Sind das nicht die Leute, ich sage doch lieber Menschen? Also werden die doch verschuldet, jetzt aber jeder auf einen Schlag. Die meisten besitzen auch keine (und wenn dann kaum) Aktien und würden einen Crash deshalb etwas anders definieren.

Im Kreditgeldsystem gibt es KEINEN freien Markt, das gehört nie zusammen in den Topf! Da sitzen nur 'Leute' am Zentralhebel die nicht erkannt werden wollen, falls wir alle an die Wand fahren. Verantwortung?

Hier will jemand ins Wasser gehen, ohne dabei nass zu werden. Oder der Ausblick aus der Chefetage ist doch nicht so gut.

2 Antworten an Fiat Abdul anzeigen
von Kalli | 24.04.2020, 08:23 Uhr Antworten

Lieber Prof. Mayer,

vielen Dank und Glückwunsch zu dieser tollen Darstellung: Knapp, präzise und auf den Punkt - selbst Keynes wurde sehr schön eingeordnet.

Interessant wäre noch Ihre Sicht auf den Umgang mit denjenigen Staaten und Personen, die in den guten Zeiten ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, also quasi im Sommer intensiv gelebt und keine Vorräte für den Winter angelegt haben, jetzt aber sehr laut nach Solidarität rufen.

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