Gold: 2.163,61 € -0,96 %
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Stand: 31.08.2022 von Hannes Zipfel
Die Inflation im Euroraum steigt nach vorläufigen Daten von Eurostat im August auf ein neues Rekordhoch von 9,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Das führt die EZB in ein existenzielles Dilemma für die gesamte Eurozone. Wie können sich Anleger vor dem Kontrollverlust der Geldpolitiker schützen?
Kosten für Verbraucher explodieren! Jetzt auch noch die Zinsen?

Euro-Rekordinflation & EZB Zins-Dilemma

Die heute vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) veröffentlichten Inflationsdaten für die Eurozone erreichten im August mit 9,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat den höchsten Stand seit Einführung der Gemeinschaftswährung im Jahr 1999 als Buchgeld.

Verbraucherpreisindex & EZB Zins-Dilemma

Gleichzeitig liegt der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) aktuell bei lediglich 0,5 Prozent. Daraus ergibt sich ein realer, also inflationsbereinigter Leitzins von -8,6 Prozent.

Vergleich der Inflation vs. EZB-Leitzins vs. Realer EZB- Leitzins

Dieser extrem negative Leitzins spiegelt ein fundamentales Dilemma der europäischen "Währungshüter" für die gesamte Eurozone wider: Um die Teuerungsdynamik zu brechen, müsste die EZB eigentlich die Zinsen deutlich anheben.

Doch die aktuelle Inflation hat mehrere Ursachen, die nicht allein auf die in den Vorjahren laxe Geldpolitik mit Null- und Negativzinsen sowie Billionen schweren Anleihekaufprogrammen zurückzuführen sind. Vor allem folgende vier Inflationstreiber entziehen sich der Kontrolle der EZB und können von ihr auch nicht durch geldpolitische Maßnahmen beeinflusst werden:

  1. Lieferkettenunterbrechungen
  2. Sanktionsspirale zwischen dem Westen und Russland, Belarus, China, dem Iran etc.
  3. Verfehlte Energiepolitik in den beiden größten Volkswirtschaften der Eurozone Deutschland (zu einseitig auf Gas) und Frankreich (zu einseitig auf Atomstrom)
  4. Überschuldung der südeuropäischen Staaten
Vor allem der letzte Punkt hinderte die EZB bislang an einer Straffung ihrer Geldpolitik trotz Starkinflation.

Mit knapp 400 Prozent des BIP (Gesamtverschuldung) ist die Eurozone heillos überschuldet und die Schuldentragfähigkeit kann nur durch extrem niedrige Kreditkosten (Zinsen) gewährleistet werden. Im Zuge der aktuellen Energiekrise versuchen die Staaten des Euroraums ihre Bürger und die Wirtschaft nun mit dreistelligen Milliardenpaketen zu entlasten, was die Staatsverschuldung weiter nach oben treibt.

Die Bundesregierung diskutiert bereits die erneute Aussetzung der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse auch für das Jahr 2023.

Damit ist sie de facto obsolet.

Verschuldung der Eurozone in % des BiP

Zu allem Überfluss hat die seit dem Beginn der Eurokrise im Jahr 2012 extrem laxe Geldpolitik Vermögenspreisblasen v. a. am Immobilienmarkt entstehen lassen. Steigende Zinsen könnten hier zu einem neuen "Lehman-Moment" führen, zumal die Immobilienpreise sowie die Hypothekenverschuldung heute deutlich höher sind als zu Beginn der Immobilienkrise im Jahr 2008.

Durch die außer Kontrolle geratene Inflation muss die EZB nun dennoch in Sachen Zinsanhebungen aktiv werden, da sonst das Vertrauen in die einzige Institution, die den Erhalt der Eurozone noch garantiert und in die von ihr herausgegebene Gemeinschaftswährung Euro verloren zu gehen droht.

Der Außenwert des Euro hat sich bereits deutlich abgewertet und ist zum US-Dollar, also der Währung, in der nach wie vor weltweit die meisten Güter und Dienstleistungen bezahlt werden müssen, das erste Mal seit 20 Jahren unter die Parität gefallen.

Euro fällt unter die Parität zum US-Dollar

Die Euroabwertung birgt das Risiko einer erhöhten Importpreisinflation. Ein Phänomen, das aus Weichwährungsländern wie der Türkei bestens bekannt ist. Verschärft wird die Außenwertproblematik des Euro dadurch, dass die USA in Sachen Zinsanhebungen deutlich aggressiver vorgehen als die EZB, was den US-Dollar unter Zinsaspekten attraktiver macht als die Gemeinschaftswährung.

Zinsvergleich Eurozone / USA

Daher plant die EZB nun auf ihrer nächsten Rats-Sitzung am kommenden Donnerstag, den 8. September einen "großen" Zinsschritt zwischen 0,75 und 1,0 Prozentpunkten.

Damit würde ein wichtiges Signal gesendet, dass die EZB noch handlungsfähig und gewillt ist, die Inflation zu bekämpfen.

Problematisch dabei ist, dass die Inflation wegen der Energiekrise, unterbrochener Lieferketten, einer sich in Gang setzenden Lohn-Preis-Spirale und wegen des sinkenden Außenwertes des Euro dennoch dynamisch weiter ansteigen wird.

Allein die Erzeugerpreise als Frühindikator für die Verbraucherpreisinflation lagen in der größten Volkswirtschaft der Eurozone, in Deutschland, im Juli mit exorbitanten +37,2 Prozent über dem Vorjahresniveau. In der gesamten Eurozone waren es +35,8 Prozent (Quellen: Destatis, Eurostat).

Erzeugerpreise Deutschland gegenüber Vorjahresmonat

Im Ergebnis werden die Zinserhöhungen der EZB die Inflation kaum bremsen, aber die hoch verschuldeten privaten und öffentlichen Haushalte zusätzlich belasten. Kapitalkosten und damit Investitionen werden sich verteuern und das Risiko eines Platzens der Immobilienblase steigt signifikant an.

Bereits im Juli sind in Deutschland in sechs Immobilien-Hostspots laut dem Online-Portal ImmobilienScout24 die Preise um 6,6 Prozent gefallen. Gleichzeitig sind die Immobilien-Nachfrage-Inserate um 36 Prozent zurückgegangen und das inserierte Angebot um 46 Prozent emporgeschnellt.

Allein die erste Zinserhöhung der EZB im Juli um lediglich 0,5 Prozentpunkte hatte schon im Vorfeld die Renditen der Benchmark-Anleihen für Hypothekenkredite (Renditen deutscher Bundesanleihen) deutlich ansteigen lassen. Mit dem Resultat, dass für Hypothekendarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung statt im Durchschnitt ca. 0,7 Prozent p. a. im Sommer 2021 aktuell bereits 3,3 Prozent p. a. Zinsen verlangt werden.

Wie kann man sich schützen?

Normalerweise bieten Edelmetalle, und hier vor allem Gold und Silber, einen guten Schutz vor der Inflation. Auch fair bewertete Aktien von Unternehmen mit relativ krisenresistenten Geschäftsmodellen und starker Preissetzungsmacht wären ein guter Rat. Das Gleiche gilt für jede Art von Sachwerten.

Selbst Schuldenmachen wäre sinnvoll.

Doch nun droht durch die multiplen Belastungen für Privathaushalte, Unternehmen und Banken ein Liquiditätsschock, der zunächst alle Anlageformen unter Druck setzt – auch die Edelmetalle. Die unausweichliche Rezession macht zusätzliche Schulden zum unkalkulierbaren Risiko, da die Einkommensunsicherheit zunimmt und die Reallöhne trotz signifikant steigender Nominallöhne sinken.

Allerdings ist absehbar, dass durch die Kombination aus Rekordverschuldung, Vermögenspreisblasen und weiter steigender Inflation durch die spürbare Straffung der Geldpolitik diesseits und jenseits des Atlantiks ein Finanzmarktunfall unvermeidlich ist (á la Lehman Brothers oder ernster).

Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser "Lehman-Moment" im Winterhalbjahr 2022/2023 eintritt, ist aus der Erfahrung der letzten 20 Jahre heraus sehr hoch, gleichwohl seriös zeitlich kaum enger einzugrenzen.

Aber eine bevorstehende Pleitewelle in der energieintensiven Schwerindustrie, der Gastronomie, der Hotellerie, dem Tourismus und im Handwerk machen einen sogenannten „Credit-Event“ mit Kreditausfällen in systemrelevanter Höhe und anschließendem Dominoeffekt im Bankensystem durch Kreditausfallversicherungen wie zu Beginn der Weltfinanzkrise 2008 sehr wahrscheinlich.

Es ist daher empfehlenswert, die klassischen sicheren Häfen, v. a. Gold, weiterhin zu halten, um diese im kritischen Moment bereits zu besitzen.

Autor: Hannes Zipfel
Ökonom
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von NV | 01.09.2022, 07:56 Uhr Antworten

Wieso höhere Leitzinsen, wo doch die enormen Preissteigerungen ganz anderen Ursachen entspringen? Das hatten Sie ja kürzlich selbst geschrieben. Ich verstehe das nicht. Aber im Endergebnis mögen Sie (leider) recht haben.

8 Antworten an NV anzeigen
von Corbinian | 02.09.2022, 21:10 Uhr Antworten

Wieder mal ein excellenter Artikel von Herrn Zipfel, welcher alle relevanten Punkte beleuchtet. Die vernichtenden Fakten sollten allen monetären Illiteraten eigentlich die Augen öffnen.
Zur von Herrn Zipfel aufgeworfenen Frage "Wie können sich Anleger vor dem Kontrollverlust der Geldpolitiker schützen?" kann ich nur antworten: überhaupt nicht.
In der derzeitigen Situation bleiben nur schlechte Optionen übrig. In einem Hochinflationszenario bleibt für mich persönlich "Cash" König.
Zur Aussage: "Selbst Schuldenmachen wäre sinnvoll", welche Herr Zipfel im darauffolgenden Absatz negiert kann ich nur sagen: Debt is the Money of SLAVES!

Sollte es zu einem "Credit Event" kommen, glaube ich nicht an einen Re-Run von 2008.
Diesmal gibt es Bail-In`s (Guthaben) und/oder Reset (nicht für Schuldsklaven:))

In einem Punkt muss ich V E H E M E N T widersprechen:
Das Deutschlands Energiepolitik zu einseitig auf (russisches) Gas gesetzt hat. Für Deutschlands Hochindustrie gibt es keine Option als billiges (russisches) Gas. Die Augewischerei der Mainstream Presse über angeblich andere Optionen kann komplett ignoriert werden.

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