Die Krise 33 - ein historisches Vorbild?

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Beitrag 26.05.2015, 06:52

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Ladon
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Historische Vergleiche sind, wie man hier schon öfter gesehen hat, problematisch. Aber auch interessant, weil man die Dinge etwas "abstrahiert" sehen muss (wegen der unterschiedlichen Begriffswelten) und dadurch einen Blick auf grundlegende "Mechanismen" erhalten kann.

Die "tiberianische" Kreditkrise im Jahr 33 ist in vielerlei Hinsicht ausgesprochen "modern". Das verwundert nur auf den ersten Blick. Denn trotz der logischerweise "antiken" Ausgestaltung der römischen* Wirtschaft brauchte sie schon aufgrund ihrer Größe, der Entfernungen und der Anzahl der Menschen (die Angaben schwanken zwischen 50 und 100 Millionen - heute geht man eher vom oberen Rand aus), ausgefeilte Strukturen.
Die gab es in Rom. Insbesondere "handelbare Kreditbriefe" (Geldsurrogate), Konten, Überweisungen und ein System privatrechtlicher Möglichkeiten, die Bankentätigkeit faktisch für "Jedermann" erlaubte. "Kredit" war alltägliches Wirtschaftsinstrument. "Nomina" wurden dem Geld gleich benutzt (bei Ovid erfährt man, dass sich ggf. sogar Prostituierte mit solchem "Papiergeld" (also einem Kreditbrief) bezahlen ließen). Die berühmtesten Leute waren entweder Superreiche (Crassus) oder Superverschuldete (z.B. Cäsar).
Welch große Rolle Kreditinstrumente im Wirtschaftsleben spielten, belegt (100 Jahre vorher) eine Rede, die Cicero vor dem Senat hielt. Er warnt eindringlich vor den wirtschaftlichen (!) Folgen einer möglichen Auseinandersetzung in Asia - und zwar nicht etwa wegen der militärischen Kosten, sondern hinsichtlich des Kreditwesens in Rom!
Kurz: er warnt vor einer Finanzkrise.

In einer Welt, in der man mit Hundert Messingstücken das gleiche kaufen konnte wie mit einem Goldstück, verwundert es nicht, dass man auch dem "Versprechen" einer "Nomina" selbstverständlich einen Kaufkraftwert zuordnete. Außerdem machte der schiere Mangel an Bargeld, sowie der außerordentlich gefährliche Transport großer Summen, praktikablere Lösungen notwendig. Bereits Cäsar verbot das Horten von mehr als 60.000 Sesterzen in bar ... lächerlich wenig angesichts von Vermögen, die nicht selten zwei- und durchaus auch dreistellige Millionenbeträge ausmachten.
Um es kurz zu machen: das Kreditwesen war eine Lebensader der römischen Wirtschaft.

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, was mit den "Gewinnen" geschieht, die ein solches Kreditwesen zwangsläufig generiert (den Zinsen)? Klassisch gab es da für den Römer nur: Landbesitz.

Bei alledem ist immer im Hinterkopf zu behalten, dass Rom, obwohl das umlaufende "Kreditgeld" (also "nomina" in allen Formen) bei weitem das vorhandene Bargeld übertraf, schon ein Metallgeldsystem war. Man war zwar bereit "Schuldpapiere" geldgleich zu akzeptieren (Cäsar "zahlt" Schulden an Cicero teilweise mit Papieren eigener Schuldner), aber beglichen werden konnte eine Schuld am Ende nur durch (Bar-)Geld. Dieses Ende konnte freilich irgendwann und mit ganz anderen als den ursprünglichen Beteiligten sein.

Diesen "Rahmen" muss man kennen, um die Geschehnisse im Jahr 33 einordnen zu können.
Ohne auf die Vorgeschichte jetzt groß eingehen zu wollen: gewisse Entwicklungen führten zu einem drastischen Fall der Grundstückspreise in Italien. Das hatte zweierlei Folgen. Für die einen bedeutete dies eine nicht mehr gesetzeskonforme Gewichtung ihres "Papiervermögens" (das durch Landbesitz in gewissem Verhältniss gesichert sein sollte) - für die anderen fiel die Deckung ihrer Schulden weg.
Augenscheinlich eine Situation, die gesamtwirtschaftlich zu einem Ausgleich führen könnte. Das dachte wohl auch der Senat, bzw. Tiberius.
Doch - irgendwie kommt uns das bekannt vor - wenn die "Deckung" von Schulden (= der Landbesitz) nicht mehr ausreicht, dann fordern die Gläubiger in aller Regel, damals wie heute, die Schuld insgesamt zurück. Die Landverkäufe, bzw. das Angebot, stieg zwangsläufig ... die Preise purzelten. Die "Blase" platzte. Denn ungeachtet aller äußeren Umstände wurde das Geschehen durch die angeschwollene "Geldmenge" erst ermöglicht.
Auch die dann erfolgende Reaktion des "Staates" ist erstaunlich modern: Tiberius pumpt 100 Millionen Sesterzen in das "Bankenwesen", die zinslos ausgeliehen werden konnten. Tatsächlich führte das zu einer Entspannung der Lage. Der Angebotsdruck auf dem "Immobilienmarkt" sank, weil die Schuldner nicht mehr unbedingt zum Verkauf gewzungen waren, das Vertrauen stieg, private Investoren gaben wieder Kredit (u.a. von Tacitus ausführlich belegt).
Machen wir heute also alles richtig? Wenn selbst so unterschiedliche Rahmenbedingungen offenbar gleichen Gesetzmäßigkeiten folgen (die erforschen heute die Volkswirtschaftler)?
Nun, da ist noch ein wichtiger Punkt: Tiberius stellte 100 Millionen IN BAR zur Verfügung (das stammte zum großen Teil aus den im Rahmen einer aufgedeckten Verschörung eingezogenen Vermögen ein paar Jahre vorher) ...


Neben derartigen Gedankenspielerein steht auch noch der sich eröffnende Blick auf die "technische Seite" des römischen Geldsystems. Voraus geschickt ist anzumerken, dass "Kreditaufnahme" häufig "Bargeldbeschaffung" bedeutete (z.B. um Legionäre zu bezahlen; aber auch "Konsumentenkredite" sind belegt).
Mit modernen Begriffen ausgedrückt, handelte es sich um einen Gold-, oder Gold/Silber-Standard ohne vorgeschriebene Deckungsquote. Im Alltag wurden vornehmlich "wertlose" Buntmetallmünzen benutzt. Gewerbliche Transaktionen fanden großteils "Kreditbasis" statt. Gold diente als Basis, musste wegen seiner Knappheit aber unbedingt "in Bewegung" gehalten werden, sonst versackt es in "Horten" und fehlt in der Wirtschaft. Das zu verhindern gelang in Rom erstaunlich gut. Es gab eben KEINE Zentralbank. Nennenswert große Vermögen wurden NICHT in Gold gehalten. Gold blieb so das letzte, das wahre Zahlungsmittel, OBWOHL es nur einen wahrscheinlich kleinen Teil der Gesamtgeldmenge ausmachte und selten vom Einzelnen aber beständig in der Wirtschaft insgesamt transferiert wurde.
Das ist faszinierend, hat aber seinen Preis: damit das System funktioniert, muss das "Horten" verhindert werden. Das Gold als "Triebmittel" der Geldmaschine muss fließen! Und das unterscheidet das (für ein Geldsystem erstaunlich lange doch recht stabile) römische Geldwesen ganz grundlegend zum Beispiel vom Goldstandard des 19. Jahrhunderts, dessen Credo das "Horten" (bei der Zentralbank) ist.




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*: "römisch" wird hier, wie so oft, für die Zeit vom ersten vorchristlichen bis zum 3. Jahrhundert benutzt.
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