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Stand: 23.03.2023 von Hannes Zipfel
In dieser Woche gab es Entscheidungen und Aussagen geld- und fiskalpolitischer Autoritäten in den USA, die einen Kollaps des amerikanischen Bankensystems zu einem realistischen Szenario werden lassen. In der heute stark vernetzten Finanzwelt würde ein solches Ereignis über Ansteckungs- und Dominoeffekte eine globale Wirtschaftskrise neuer Dimension auslösen. Die Anamnese einer absehbaren Katastrophe.
US-Bankensystem vor dem Kollaps?

Das Problem Teilreservesystem

Das Teil- oder Mindestreserve-System geht auf die Bank von England zurück (engl.: Fractional Banking), die diese Art des legalen Betrugs hoffähig machte. Das simple und bereits oft gescheiterte Prinzip des Teilreservesystems basiert auf der Annahme, dass nicht alle Kunden einer Bank ihr dort auf Girokonten angelegtes Geld gleichzeitig abheben und die Bank daher mit einem Großteil der Kundeneinlagen anderweitige Investitionen tätigen bzw. Kredite an Dritte vergeben kann.

Erschreckend gering ist der Anteil, den die Banken für ihre Kunden in Form liquidier Mittel vorhalten müssen: In den USA beträgt der Mindestreservesatz seit dem Jahr 1992 lediglich 10 Prozent. Dieser Anteil muss bei der jeweiligen Zentralbank hinterlegt werden.

Die restlichen 90 Prozent können weiterverliehen oder am Kapitalmarkt z. B. in hypothekenbesicherte Anleihen investiert werden.

Die EZB startete im Jahr 1999 mit einem Mindestreservesatz von sogar nur 2 Prozent, der mittlerweile auf nur noch 1 Prozent gesenkt wurde.

Auf diese Weise entstand ein Geschäftsmodell der Banken, dass einem Pyramidensystem gleicht: Mit jeder neuen Einlage kann die Bank neues Geld schöpfen, indem sie in den USA im Extremfall 90 Prozent der Kontoeinlage eines Kunden an einen oder mehrere andere Kunden als Kredit weiterreicht.

Da der Kontoeinleger davon ausgeht, dass er jederzeit über die von ihm eingezahlte Summe verfügen kann und der Kreditnehmer (Schuldner) das Geld von der Bank ausgezahlt bekommt, entsteht "neues" Geld, das in der Realität jedoch eine reine Geldillusion darstellt.

Die Bank hat aus dem Nichts Geld geschöpft (so, wie es auch Zentralbanken tun dürfen).

Das Problem Fristentransformation

Damit die Bank bei diesem legalen Betrug Geld verdient, muss sie dem Einleger weniger Zinsen bezahlen, als sie von dem Kreditnehmer verlangt. Die Kontoeinlage kann jedoch jederzeit digital oder physisch ganz oder in Teilen abgehoben oder zu einer anderen Bank transferiert werden.

Die Laufzeiten der von den Banken gewährten Kredite oder bestimmte Investitionen (z. B. in illiquide Gewerbeimmobilien) sind hingegen längerfristig gebunden.

Dies ist ein systemimmanenter Fehler, der regelmäßig zu Banken-Bankrotten oder Beinahe-Pleiten führt, wie zuletzt bei der Credit Suisse, wo allein im vierten Quartal 2022 über 150 Milliarden Schweizer Franken von den Kontoeinlegern abgezogen wurden.

Da sich diese Entwicklung im 1. Quartal 2023 mit dem Bankrott der Silicon Valley Bank (SVB) durch den zunehmenden Vertrauensverlust auch bei der Credit Suisse permanent verschärfte, stand die zweitgrößte Bank der Alpenrepublik Mitte März vor dem Bankrott und musste mit staatlichen Garantien in Milliardenhöhe, einer Zwangsübernahme durch die UBS sowie der Teilenteignung von Gläubigern und Anteilseignern gerettet werden.

Die von den Banken über die sogenannte Fristentransformation vereinnahmte Zinsmarge stellt i. d. R. den größten Teil des Einkommens einer Geschäftsbank dar.

Das Grundproblem dieses Geschäftsmodells für Banken ist offensichtlich: Kurzfristigen Verbindlichkeiten stehen langfristige Forderung gegenüber. Das führt direkt zum nächsten und entscheidenden Problem für die akute Gefahr eines dominoartigen Bankenkollapses in den USA.

70 US-Banken-Pleiten in nur 10 Jahren

Die mit dem Teilreservesystem verbundenen Risiken sind den Aufsichtsbehörden bekannt. Aus diesem Grund wurden Einlagensicherungsfonds geschaffen, die im Falle einer Pleite zumindest einen Teil der Kundeneinlagen von der Insolvenz einer Bank abschirmen.

In den USA ist dafür die FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) zuständig, die direkt dem US-Finanzministerium unterstellt ist.

Genau wie bei dem Mindestreservesatz ist auch hier das Verhältnis zwischen Einlagen und Absicherung grotesk:

Anfang März dieses Jahres verfügte die FDIC über einen Fonds in Höhe von 185 Milliarden US-Dollar. Aktuell sind es nur noch 125 Milliarden US-Dollar.

Die gesamten Kontoeinlagen bei US-amerikanischen Geschäftsbanken lagen Anfang März bei 22 Billionen US-Dollar – aktuell sind es noch 18 Billionen US-Dollar.

Der Rückgang der Gelder des US-Einlagensicherungsfonds FDIC hat auch mit den beiden jüngsten Bankenpleiten im März dieses Jahres zu tun.

In den letzten zehn Jahren summiert sich die Anzahl der sogenannten „Failed Banks“ auf aktuell 70 (Quelle: FDIC):

Liste US- Bankenpleiten 2017-2023

Hier finden Sie den Link zur gesamten Liste von US-Banken-Bankrotten bis zum Jahr 2000.

Mit der First Republic Bank, der Westpac Banking Corporation sowie der Capital One Financial Corp. stehen bereits drei weitere US-Finanzinstitute auf der Kippe.

Das Problem Bank-Run

Es droht auch bei diesen Instituten das ultimative Risiko des Teilreservesystems schlagend zu werden: der Bank-Run.

Dabei verlieren die Kunden zunehmend das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Bank und in die Sicherheit ihrer Einlagen. In der Folge ziehen immer mehr Kunden entweder physisch oder via Banktransaktion Geld ab und senken somit die Liquidität der Bank in Richtung Null ab.

Im Falle der jüngsten US-Bankenpleiten geschah dies innerhalb weniger Stunden – quasi ein digitaler Bank-Run via Smartphone.

Zwei historische Fehler an einem Tag

Am Mittwoch dieser Woche, also mitten in der größten Bankenkrise seit der Weltfinanzkrise, unterlaufen sowohl der US-Finanzministerin und ehemaligen Chefin der US-Notenbank (Fed), Janet Louise Yellen, sowie dem amtierenden US-Notenbankchef, Jerome Hayden „Jay“ Powell, zwei folgenschwere Fehler: Zunächst hebt die US-Notenbank ihr Leitzinsband trotz bereits eskalierender Bankenkrise um 0,25 Prozentpunkte von 4,5-4,75 Prozent auf 4,75-5,0 Prozent an.

In der anschließenden Pressekonferenz warnte Jerome Powell vor sich weiter verschärfenden Kreditbedingungen der Banken und zunehmenden wirtschaftlichen Risiken auf der Unterseite (Rezessionsgefahr).

Mit der jüngsten Zinserhöhung verschärft die Fed das Todesrisiko für die US-Banken gleichwohl selbst: Seit dem Beginn des Zinsanhebungszyklus der Fed vor genau einem Jahr hat sich die Zinsdifferenz zwischen Geldmarktfonds mit erstklassigen kurzlaufenden US-Staatsanleihen (AAA-AA Geldmarktzinssatz, börsentäglich veräußerbar, blaue Linie) und den Kontozinsen, die die Banken ihren Kunden bieten (gelbe Linie), dramatisch ausgeweitet.

Bank Deposits vs. GeldmarktfondsQuellen: Bankrate.com, Bianco Research

Diese Entwicklung führt zu massenhaften Umschichtungen in die sicheren, liquiden aber um ein Vielfaches höher verzinsten Geldmarktfonds. Diese Gelder fließen den Geldmarktfonds zu und von den Bankkonten ab.

Zusätzlich steigt das Misstrauen der privaten und gewerblichen Kunden in v. a. kleinere und mittlere Banken mit relativ geringer Kapitalausstattung.

Bei den Banken-Stresstests der Fed in den letzten Jahren zur Vermeidung einer erneuten Krise á la 2008 wurden jeweils nur die 25 größten Banken auf ihre Eigenkapitalpuffer hin untersucht. In den USA gibt es aber aktuell insgesamt noch 4.236 Banken mit 72.166 Filialen (Quelle: FDIC, Stand: 13.03.2023).

Damit wurden 99,4 Prozent aller US-Banken nie auf ihre Stressresistenz hin geprüft.

Um zumindest das Vertrauensproblem in die Banken in den Griff zu bekommen, hätte die US-Finanzministerin bei einer Anhörung vor dem US-Senat am Mittwoch die Gelegenheit nutzen können, um alle Bankeinlagen für versichert zu erklären.

Stattdessen sagte sie Folgendes:

“Wir haben nichts in Erwägung gezogen oder diskutiert, was mit einer pauschalen Absicherung oder Garantie für Einlagen zu tun hat”.

Diese Formulierung schockte die Finanzmärkte und dürfte zu weiteren massiven Kontoleerungen bei kleineren und mittelgroßen Geschäftsbanken führen.

Politische Hürden

Anstatt des verbal unglücklich formulierten Statements Yellens, hätte sie, wie die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück am Sonntag, den 5. Oktober 2008 bluffen können, nach dem Motto:

„Alle privaten Spareinlagen sind sicher“.

Was, wie Steinbrück später zugab, nicht der Wahrheit entsprach. Aber vielleicht tut Yellen dies ja noch – zumindest für eine gewisse Zeit, um die Lage temporär zu beruhigen.

Das Problem ist jedoch, dass zum einen dem US-Haushalt im Sommer durch das Erreichen der gesetzlich festgelegten Schuldenobergrenze (Debt Ceiling) das Geld auszugehen droht und zweitens eine Aufstockung des Einlagensicherungsfonds oder eine implizite Staatsgarantie aller Kundeneinlagen aufgrund der monetären Dimension in die Haushaltskompetenz des seit Januar geteilten US-Kongresses fallen.

Bis dahin kann die FDIC nur bei bereits in Schieflage geratenen Banken einspringen.

Die Demokraten müssten für eine pauschale Einlagenversicherung, die von der Größe her 78 Prozent des gesamten US-Bruttoinlandsprodukts entspräche, mit den Republikanern mitten im Vorwahlkampf (wer wird in welcher Partei Präsidentschaftskandidat für 2024), einen Kompromiss aushandeln.

Eine ähnlich prekäre Situation gab es bereits im Oktober 2008, als es im Abgeordnetenhaus keine Einigung für ein pauschales Bankenrettungsgesetz gab. Was folgte, war der beinahe Zusammenbruch des Weltfinanzsystems.

Eingedenk der Tatsache, dass in den USA mittlerweile 5,60 US-Dollar Kreditschöpfung nötig sind, um einen US-Dollar Wirtschaftswachstum zu erzeugen, wirkt alles, was die Kreditvergabe durch Banken einschränkt, stark rezessiv.

Eine Rezession erhöht wiederum die Kreditausfallraten und führt zu hohen Abschreibungen von Forderungen bei den Banken, die den kurzfristigen Kundeneinlagen entgegenstehen. Im Bereich der sogenannten „Subprime Loans“, also Kredite geringer Qualität, explodieren die Ausfallraten bereits.

Kann der Banken-Kollaps abgewendet werden?

Kurzfristig könnte die FDIC verlautbaren lassen, sämtliche Bankeinlagen zu schützen, so wie Merkel und Steinbrück es im Oktober 2008 taten.

Parallel dazu müsste die US-Notenbank aber trotz nach wie vor erhöhter Inflation durch sofortige massive Zinssenkungen und Liquiditätsflutung die Märkte und Banken stabilisieren und die Spanne zwischen hoch verzinsten kurzfristigen Staatsanleihen und Kontozinsen massiv verringern.

Zumindest Letzteres scheint aktuell nach dem jüngsten Statement des Fed-Chefs Jerome Powell ausgeschlossen.

Er sieht nach wie vor keine Zinssenkungen in diesem Jahr.

Das diese Haltung nicht durchhaltbar ist, dürfte auch ihm klar sein, aber der Reputationsschaden durch eine 180-Grad-Wende nach einem erneuten geldpolitischen Fehler, der eine weitere Finanzkrise provozierte, dürfte das endgültige Ende der Karriere der meisten aktiven Fed-Gouverneure und eventuell sogar der Institution selbst bedeuten.

Daher ist nach temporären Beruhigungsphasen in diesem Jahr mit einer Eskalation der US-Bankenkrise in eine Rezession hinein zu rechnen – bis hin zum bislang Unvorstellbaren: dem Kollaps des US-Bankensystems.

Autor: Hannes Zipfel
Ökonom
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von solider Anleger | 28.03.2023, 09:53 Uhr Antworten

Wer mit 90% der Gelder spekulieren kann, wird zwangsweise zum Risiko. Schon traurig, wenn niemand was dran ändern will und so dauerhafte Rettungen durch den Steuerzahler verursacht. Da es letztendlich Rettungen der Kundeneinlagen sind, sollte jede Bank verpflichtet werden den Kunden ihre Spekulationsquote bereits im Schalterraum sichtbar darzustellen, damit den Kunden das Sicherheitsgefühl genommen wird.

von Andreas Harnisch | 25.03.2023, 10:38 Uhr Antworten

Gratulation, Herr Zipfel! So klar habe ich das Mechanismus noch nie beschrieben gesehen. Demnach sind die immer wiederkehrende Bankenkriesen zwingend, mindestens so lange bis es den Banken verboten wird mit dem Geld der Kunden eigene spekulative Geschäfte zu tätigen.

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