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Stand: 26.08.2022 von Hannes Zipfel
Das diesjährige Treffen der weltweit einflussreichsten Geldpolitiker und Ökonomen in Jackson Hole, Wyoming, wird von den Marktteilnehmern mit Argusaugen verfolgt. Vor allem von der heutigen Rede des US-Notenbankchefs Jerome Powell werden wichtige Hinweise zur weiteren Zinspolitik erwartet. Auch für den Goldpreis wird es spannend.
Notenbankertreffen: verbaler Drahtseilakt in den Rocky Mountains

Verbaler Drahtseilakt

Alle Augen sind in dieser Woche auf das Notenbanker-Symposium in Jackson Hole, einem Luxus-Resort am Fuße der Rocky Mountains gerichtet. Für die zinssensitiven Edelmetalle sind die von dort ausgehenden Botschaften in Sachen Zinspolitik von besonderer Bedeutung.

Die Märkte erwarten von der heutigen Rede des Chefs der US-Notenbank (Fed) Jerome Powell, dem aktuell einflussreichsten Geldpolitiker der Welt, eine restriktive Botschaft mit der Bestätigung weiterer Zinsanhebungen

Mittlerweile preisen die Terminmärkte für die nächste Zinssitzung der Fed am 20./21. September mit einer Wahrscheinlichkeit von 62,5 Prozent einen nochmaligen „großen“ Zinsschritt um 75 Basispunkte (0,75 Prozentpunkte) ein.

Erwartungen für den US-Leitzins ab 21. September 2022

Noch vor Wochenfrist waren es nur 47 Prozent, die einen dreifachen Zinsschritt auf eine Leitzinsspanne von 3,0-3,25 Prozent (300-325 Prozentbasispunkte) erwarteten.

Normalerweise hebt die Fed die Zinsen in Schritten von 0,25 Prozentpunkten alle sechs Wochen an. Doch der aktuelle Zinszyklus ist außergewöhnlich, denn der Druck aus dem Weißen Haus, die auch in den USA hohe Inflationsrate von 8,5 Prozent p. a. bis zu den Zwischenwahlen am 8. November deutlich zu senken, setzen Powell und seine Kollegen massiv unter Zugzwang.

Er musste dem Präsidenten der USA, Joe Biden, versprechen, bis zu diesem Zeitpunkt die Konsumententeuerung in Richtung der Inflationszielrate der Fed von 2,0 Prozent p. a. zu drücken, andernfalls wäre Powells Amtszeit Anfang des Jahres 2022 nicht verlängert worden.

Aber diese Aufgabe gleicht einer „Mission Impossible“, denn die US-Konjunktur rutscht gerade in eine Rezession ab und hat bereits zwei Quartale mit schrumpfender Wirtschaftsleistung hinter sich. Zudem mehren sich die Anzeichen, dass auch der US-Immobilienmarkt wie in China umzukippen droht, da sich die Kreditbelastungen in kürzester Zeit für die Hypothekenschuldner glatt verdoppelt haben.

Die Inflation hält sich hingegen hartnäckiger als gedacht.

Das 92-Billionen-Dollar-Problem

Jeder Prozentpunkt Zinserhöhung verursacht in der mit über 92 Billionen US-Dollar verschuldeten Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten rein rechnerisch ca. 920 Mrd. US-Dollar an Mehrkosten pro Jahr für Zinsen (gemessen an der Gesamtverschuldung, Quelle: Fed of St. Louis). Das entspricht 4 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Aktuell beläuft sich die Zinslast bereits auf 3,43 Billionen US-Dollar pro Jahr bzw. 14,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Jeder erwachsene Amerikaner schultert mittlerweile durchschnittlich 13.326 US-Dollar allein an Zinszahlungen pro Jahr.

Seit März dieses Jahres hat die US-Fed die Zinsen schon vier Mal um insgesamt 2,25 Prozentpunkte angehoben.

Wenn, wie von den Mitgliedern des Offenmarktausschusses der Fed (FOMC) selbst prognostiziert, die Leitzinsen zum Jahresultimo bei 3,5 Prozent lägen, entspräche dies einer Mehrbelastung für die US-Wirtschaft von nochmals 5 Prozent des BIP. Und dass, obwohl die US-Wirtschaft bereits im ersten Quartal, also noch vor dem wirksam werden der ersten Zinserhöhung schrumpfte.

Für gewöhnlich dauert es drei Quartale, bis Zinserhöhungen in der Breite spürbar werden. Die bereits vollzogenen und die für September geplante Steigerungen der Kreditkosten werden also erst im Winterhalbjahr 2022/2023 mit Zeitverzögerung voll auf die gesamte US-Konjunktur durchschlagen.

Aufgrund dieser Brisanz gehen viele Marktteilnehmer und Ökonomen davon aus, dass sich Jerome Powell in Jackson Hole einmal mehr in der Kunst der Verbalakrobatik üben wird, um die Verunsicherung an den Märkten so gering wie möglich zu halten.

Die Zukunftsperspektive

Da auch die US-Notenbank sehr spät auf den dynamischen Inflationsanstieg reagierte, drohen die schnellen Zinsanhebungen mit großen Zinsschritten und weitere Bilanzreduzierungen mitten in den wirtschaftlichen Abschwung hinein die Konjunktur abzuwürgen und eine ausgedehnte Rezession auszulösen.

Zumal das ökonomische Umfeld von so vielen Faktoren gleichzeitig belastet wird, wie zuletzt während der beiden Ölkrisen in den 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre.

Das Szenario anhaltend hoher Preise und einer rückläufigen Wirtschaftsdynamik, auch als „Stagflation“ bezeichnet, scheint weltweit das für die kommenden Quartale wahrscheinlichste Szenario zu werden, zumal die geopolitischen Spannungen zwischen Russland, China und dem Westen sich verschärfen und zu einer geoökonomischen Fragmentierung der Weltwirtschaft führen – also dem genauen Gegenteil der Globalisierung, dessen Profiteure vor allem die großen Volkswirtschaften in den letzten drei Dekaden waren (G7 + China).

Die Europäische Zentralbank (EZB) hielt sich daher bislang mit Zinsanhebungen stark zurück (nur eine einzige Leitzinssteigerung um 50 Basispunkte auf 0,5 Prozent p. a.). Das Gleiche gilt für die Japanische Zentralbank (BOJ), die ihren Leitzins mit -0,1 Prozent p. a. sogar leicht im negativen Bereich belässt. Die Chinesische Zentralbank (PBOC) hat ihre Schlüsselzinsen in diesem Jahr zur Stabilisierung der Wirtschaft und speziell des Immobilienmarktes bereits drei Mal leicht gesenkt.

In Anbetracht der sich verstärkenden rezessiven Tendenzen und der sich immer deutlicher abzeichnenden Schwäche am US-Immobilienmarkt könnte die Fed gezwungen werden, nach den Zwischenwahlen Anfang November massiv umzusteuern, um systemische Risiken im Finanzsystem und eine tiefe Rezession zu vermeiden.

Hinweise darauf wird Powell vor den sogenannten „Midterm Elections“, bei der sich ein Drittel aller Senatoren und alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses dem Votum der Wähler stellen müssen, sehr wahrscheinlich aber nicht geben.

Ob die Finanzmärkte und die Realwirtschaft den „Zinsschmerz“ noch bis Anfang November aushalten, ist nicht sicher.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass urplötzlich ein „Schwarzer Schwan“, z. B. in Form der Pleite eines großen Hedgefonds oder Immobilienfinanzierers eine geldpolitische 180-Grad-Wende erzwingen kann.

Erinnert sei hier nur an die LTCM-Krise (US-Hedgefonds) im Jahr 1994, die Beinahe-Pleite der US-Investmentbank Bear Stearns im Juni 2007, die Lehman-Pleite im September 2008, die US-Repo-Krise im Oktober 2018 oder die Corona-Krise ab März 2020.

Jedes Mal reagierte die Fed mit Notzinssenkungen und massivem Gelddrucken.

Ein solches Szenario ist in Anbetracht der multiplen Belastungsfaktoren für die nächsten Monate sehr wahrscheinlich.

Für Gold und Silber wäre dies der Startschuss für eine erneute Rallye. Schon jetzt beträgt der Abstand des Goldpreises in Euro zu seinem Allzeithoch vom 8. März dieses Jahres nur noch knapp 8 Prozent.

Goldpreis in Euro

Generell halten sich die Notierungen des gelben Edelmetalls im Vergleich zum deutschen Aktien-Leitindex DAX 40, dem deutschen Rentenindex (inkl. Zinsen) REX-P und der Kryptowährung Bitcoin sehr robust und in Schlagdistanz zu neuen Rekorden (Daten vom 25. August):

Gold in Euro vs. REX-Performance Index vs. DAX40 vs. BTC in Euro

Autor: Hannes Zipfel
Ökonom
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von NV | 27.08.2022, 09:17 Uhr Antworten

Sehr geehrter Herr Zipfel,
Seit langem lese ich Ihre Artikel begierig. Heute möchte ich mich einfach mal bedanken. In Ihren Ausführungen blicken Sie stets über den Tellerrand hinaus... das vermisse ich bei anderen Journalisten (weil sie es nicht können oder nicht "sollen"). Außerdem sind Sie in der Lage den Finger in die Wunde zu legen ohne dabei polemisch zu werden; das weiß ich sehr zu schätzen. Herr Zipfel, bitte machen Sie so weiter!

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